Andreas Pils · Antisemitismus · Hagen Westfalen · Nazi Kriegsverbrechen

HAGEN V : Heinrich Vetter

Heinrich Vetter

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird dort, in der Chefetage, auch HEINRICH VETTER (1890-1969) ein-und ausgegangen sein.  Vetter war zwar in Fulda/Hessen und nicht in Hagen geboren  sollte hier aber seine Schaffensjahre verbringen und ganz in der Nähe sterben. Vetter war alt genug, noch im ersten Weltkrieg als Soldat mitgewirkt zu haben und mit dem Rang eines Feldwebels aus dem Schlachten entlassen worden sein, was kein gutes Omen für die Einwohner Südwestfalens war, wie sich später zeigte. 1925 trat er in die NSDAP  (Mitglieds-Nr. 16447) ein und wurde fünf Jahre später als deren Hagener Abgeordneter in den Berliner Reichstag der Weimarer Republik gewählt, was es ihm leider unmöglich machte, seine Laufbahn als Pförtner bei der Hagen-Eckeseyer Schraubenfirma Funcke & Hueck fortzusetzen. Der alte Kämpfer der ersten Stunde wurde 1932 zum Kreisleiter der NSDAP ernannt, und im Frühjahr 1933 fand er sich plötzlich als kommissarischer Oberbürgermeister der Stadt Hagen wieder, nachdem sein Vorgänger Cuno Raabe von der katholischen Zentrumspartei kurz nach der Machtergreifung von der Gestapo, in Begleichung einer alten Rechnung, verhaftet und des Amtes enthoben worden war. Ein Jahr später wurde aus dem kommissarischen ein ständiger Oberbürgermeister, ein Titel und ein Amt, die Vetter bis zur Kapitulation behalten sollte. In den nächsten Jahren sammelte er noch weitere mit pompös klingenden Bezeichnungen ein, stellvertretender Gauleiter im Jahre 1936 von Westfalen-Süd zum Beispiel, aber machte sich in erster Linie durch seine Inkompetenz, Vetternwirtschaft (!) und diverse andere Skandale einen Namen, und so  wurde er wohl zum “Paten” des Nazi-Rackets von Südwestfalen.

imageIn Hagen bestand von Beginn der NS-Herrschaft an in der Frage der „Entjudung“ der Wirtschaft eine enge politische Kooperation zwischen dem NS-Oberbürgermeister Vetter, der als besonders skrupelloser Antisemit bekannt war und 1936 zudem stellvertretender und faktisch amtierender Gauleiter wurde, dem Gauamt bzw. Gauwirtschaftsberater, den loka- len Parteigremien und der Industrie- und Handelskammer sowie verschiedenen Wirtschaftsprüfern. Diese personellen politischen Verflechtungen und Doppelfunktionen vor Ort, die es in dieser Form weder in Arnsberg noch in Niedermarsberg gab, bildeten als „antisemitisches Netzwerk“ eine effektive organisatorische Grundlage zur Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus der lokalen Wirtschaft.“ ( Dr. Marlene Klatt)

In dieser Rolle muss ihn wohl auch unser Brauereieigentümer Carl-Horst Andreas kennengelernt haben, denn ohne Vetter lief anscheinend gar nichts in Hagen und im Gau, und der regelmäßige Nachschub von Zwangsarbeitern für die Firma Andreas regelte sich auch nicht von alleine. Was auch immer die beiden am Anfang ihrer Bekanntschaft verband,   gemeinsame Treue in den Nationalsozialismus und den Führer, oder gemeinschaftliche ökonomische Interessen, es war der Beginn einer langen Männerfreundschaft, die auch der verlorene Krieg nicht brechen konnte, sondern im Gegenteil eher noch stärkte. (Siehe unten) Am 17.April 1945 kamen die amerikanischen Truppen nach Hagen, und Heinrich Vetter musste sich auf einem Bauernhof bei Breckerfeld verstecken, wurde aber eine Woche später aufgespürt und im Mai ins britische Internierungslager Staumühle bei Paderborn gebracht, wo eine große Zahl von zivilen und militärischen mutmaßlichen Kriegsverbrechern auf ihre Verhandlung und gerechte Strafe warteten. Heinrich Vetter wartete drei Jahre und bekam zwar das eine, aber nicht  das andere. Es fanden zwei Prozesse statt, die Vetters Schuld aufklären sollte: der erste vor einem Entnazifizierungstribunal in Hagen, das feststellte, dass Vetter zwar ein unverbesserlicher Nazi sei, der sich mit Deutschlands Kapitulation und dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft nie werde abfinden können, aber auf der anderen Seite nur als ein Kategorie III belasteter NSDAP Funktionär eingestuft werden könne, da man nicht in der Lage sei ihm nachzuweisen, dass er entweder an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen seie noch solche als Amtsinhaber angeordnet habe. In der zweiten Verhandlung vor einem Spruchgericht am Amtsgericht Hagen wurde Heinrich Vetter daher nur angeklagt, persönlich von begangenen Kriegsverbrechen und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewusst zu haben. Vetter wurde für schuldig befunden und im Dezember 1948 zu einer Strafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt, auf die die dreijährige Internierung angerechnet wurde. Vetter legte Berufung gegen das Urteil ein, das jedoch vor einem weiteren Spruchgericht in Bielefeld/Westf. bestätigt wurde, was aber in der Realität bedeutete, dass Vetter sofort wieder ein freier Mann wurde und für seine Verbrechen als hoher NSDAP Funktionär zwischen 1933 und 1945 nicht weiter belangt werden konnte. Er war, wie Tausende und Abertausende von ehemaligen Angehörigen der NSDAP, SA, SS, der Wehrmacht, des Polizei- und Justizapparates, der Erziehungsinstitutionen und alle anderen Institutionen des Deutschen Reiches, die die Verbrechen Deutschlands organisiert, verwaltet, toleriert und exekutiert hatten, noch einmal davongekommen.

Aufmarsch in Hagen an der Springe

Hatten noch vor der Machtergreifung ungefähr 600 Juden in Hagen gelebt, waren es nach der Kapitulation und nach der Rückkehr der Überlebenden aus den Konzentrationslagern noch 20, die es wieder wagten unter den Deutschen in Hagen zu wohnen. Fast 300 hatten es geschafft noch vor Beginn der Shoah aus Deutschland zu fliehen, die restlichen 290 waren in den Vernichtungslagern ermordet worden. (Siehe auch: Das Schicksal der Hagener Juden in der Shoah) Allen hatte man, unter Mithilfe Vetters, ihr Vermögen geraubt, und ihre Geschäfte und Firmen waren mit der Übernahme durch Deutsche mit staatlich anerkanntem Ahnenpass „arisiert” worden, gegen sehr geringe oder im Normalfall ganz ohne Entschädigung. Mehrere hundert Hagener waren auf Grund ihrer politischen, religiösen oder sexuellen Überzeugung verfolgt und in Gestapo-Gefängnissen und SS-Lagern ermordet worden. Hunderte von Zwangsarbeitern waren in Außenlagern rund um Hagen und in Hagenern  Betrieben selbst durch Hunger, fehlende medizinische Betreuung, Überarbeitung und brutale Behandlung ermordet worden, und ungefähr 100 Zwangsarbeiter aus Montenegro und der Sowjetunion wurden noch in den letzten Tagen vor der Einnahme Hagens durch die Amerikaner,  von speziellen Einsatzkommandos in umliegenden Wäldern auf Befehl lokaler NSDAP-und SS-Führer erschossen. Für alle diese Toten trug Heinrich Vetter als politisches Oberhaupt der lokalen Hagener Verwaltungsbehörden und NS Parteiorgane ein hohen Anteil an persönlicher Mitverantwortung und-schuld. Drei Jahre in einem britischen Internierungslager scheinen da kaum eine angemessene Buße zu sein. Vetter war, wie oben gesagt und wie wir unten noch weiter zeigen werden, natürlich kein Einzelfall, weder er selbst oder das westliche Deutschland nach dem Krieg wurden jemals wirklich entnazifiziert.


Anhang:

Die „Aufarbeitung“ in Hagen begangener Kriegsverbrechen:

 

Verfahren Lfd.Nr.323
Tatkomplex: Verbrechen der Endphase, NS-Gewaltverbrechen in Haftstätten
Angeklagte:
F., Ernst 8½ Jahre
Fi., Ernst August Freispruch
G., Franz Otto Freispruch
Ka., Franz Josef Gottfried Freispruch
Ko., Heinrich Freispruch
M., Walter Freispruch + Verfahren eingestellt
R., Franz Freispruch
S., Heinrich Freispruch
Sch., Georg Freispruch
Sch., Kurt Freispruch
W., August Freispruch
Gerichtsentscheidungen:
LG Hagen 520718
BGH 531203
Tatland: Deutschland
Tatort: Hagen (Westf.)
Tatzeit: 4501-4503, 450412
Opfer: Häftlinge, Juden, Fremdarbeiter
Nationalität: Sowjetische, Deutsche, unbekannt
Dienststelle: Haftstättenpersonal Straflager für Ostarbeiter bei den Klöckner-Werken in Hagen-Haspe, Polizei Gestapo Hagen
Verfahrensgegenstand: Misshandlung und Einzelerschiessung russischer Häftlinge im Straflager für Ostarbeiter in Hagen-Haspe, u.a. wegen Fluchtversuches und Plünderung. Erschiessung von 4 bzw. 11 russischen Häftlingen des Straflagers wegen Mordes, Vergewaltigung und Brandstiftung. Erschiessung von 12 Häftlingen gemäss den Befehlen, alle in den Justizstrafanstalten einsitzenden Schwerverbrecher bei Feindannäherung der Gestapo zur Tötung zu überstellen

 

Im Wiederholungsprozess:

Verfahren Lfd.Nr.425
Tatkomplex: Verbrechen der Endphase, NS-Gewaltverbrechen in Haftstätten
Angeklagte:
F., Ernst Freispruch
Sch., Georg Verfahren eingestellt
Gerichtsentscheidungen:
LG Hagen 551220
Tatland: Deutschland
Tatort: Hagen (Westf.)
Tatzeit: 4503, 450412
Opfer: Fremdarbeiter, Häftlinge
Nationalität: Deutsche, Sowjetische
Dienststelle: Haftstättenpersonal Straflager für Ostarbeiter bei den Klöckner-Werken in Hagen-Haspe, Polizei Gestapo Hagen
Verfahrensgegenstand: Erschiessung von 4 bzw. 11 russischen Häftlingen des Straflagers des Fremdarbeiterlagers der Klöckner-Werke in Hagen-Haspe wegen Mordes, Vergewaltigung und Brandstiftung. Erschiessung von 12 Häftlingen gemäss den Befehlen, alle in den Justizstrafanstalten einsitzenden Schwerverbrecher bei Feindannäherung der Gestapo zur Tötung zu überstellen

Veröffentlicht in Justiz und NS-Verbrechen Band XIII

 

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