Andreas Pils · Antisemitismus · Hagen Westfalen · Nazi Kriegsverbrechen

HAGEN IX : Die letzten Tage des Kurt „Panzer“ Meyer

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Kurt Meyers Autogrammkarte

Am 23.Dezember 1961, im Alter von 51 Jahren starb der ehemalige SS-Brigadeführer und General-Major der Waffen-SS in Hagen/Westfalen an Herzversagen, sieben Jahre nach seiner Entlassung aus einer lebenslangen Haft, zu der er für begangene Kriegsverbrechen verurteilt worden war, sechs Jahre nach seiner Berufung zum Vertriebsleiter der Hagener Andreas Brauerei und zwei Jahre nach seiner Ernennung zum Bundessprecher der HIAG, der Veteranenorganisation der Waffen-SS.  Was auch immer Carl-Horst Andreas dazu veranlasst hatte, dem alten Kämpfer eine Position in seinem Betrieb anzubieten, war es Loyalität der Sache und ihren Streitern gegenüber oder ein Gespür für eine gute Investition, oder beides, Meyers Einsatz erwies sich als triumphaler Erfolg. Meyers anhaltende Popularität in der deutschen Öffentlichkeit, die den jungen, wagehalsigen Panzerkommandanten aus den besseren Zeiten des Krieges, vor Stalingrad, noch gut in Erinnerung hatte, war gut fürs Geschäft. Meyer, der nun eine Brigade von 27 Außendienstmitarbeitern führte, erfreute sich enormer Beliebtheit bei seinen Kunden, den Kneipen- und Hotelbesitzern des südlichen Ruhrgebietes und nördlichen Sauerlandes. Sogar die Kantine eines dort stationierten kanadischen Regiments zählte zu seinen Kunden.Grenadiere Wahrscheinlich signierte Meyer bei persönlichen Besuchen bei den Kneipiers in Sprockhövel oder Hagen-Rummennohl auch deren Kopie seiner Memoiren „Grenadiere“, die jeder alte Krieger im Regal stehen hatte. Das Buch war 1956 beim Schild  Verlag  in München und später sogar in einer englischen Übersetzung erschienen , vermutlich für all seine Fans in Kanada.  Heutzutage ist es nur noch antiquarisch, aber recht einfach bei Amazon oder bol.com erhältlich, für ungefähr €30. (Auch als freier pdf download im Netz, nur auf Englisch) „Grenadiere“ ist ein exemplarischer Vertreter jener unausstehlichen Gattung deutscher Nachkriegsliteratur, der Biographien alter SS-und Wehrmachtsoffiziere und anderer Nazi-Schergen, deren Selbstmitleid und deren Ausflüchte sich  von Band zu Band kaum unterscheiden  :„Wir haben davon nicht gewusst, …wir hatten doch keine andere Wahl,… wir haben doch nur unsere Befehle ausgeführt, …wir hatten damit nichts zu tun, das waren die bösen Nazis, …wir waren doch nur Soldaten, …und, überhaupt, es war nicht alles schlecht unter Hitler“; und so weiter ad nauseam, genau das, was der deutsche Bürger, der sich selbst mit den gleichen  Ausreden jeglicher Verantwortung an den zwölf Jahren des Terrors und Kriegs entzog, hören wollte.  Dem Leser, der es schafft über das erschreckend sykophantische Vorwort eines ehemaligen Panzergenerals der Wehrmacht hinaus weiterzulesen, macht Meyer schon gleich am Anfang klar, welche Geschichte er in seiner Autobiographie erzählen möchte, die der Abenteuer eines professionellen und apolitischen Soldaten und seiner Kameraden, die auf Grund von Missverständnissen zu den wahren Opfern des Krieges geworden seien:

Soldaten der Waffen-SS im Warschauer Ghetto, Mai 1943

But on 1 September 1939 the Panzergrenadiere could not have known that they were to become scapegoats for spiteful politicians. They were soldiers, fulfilling their duty according to the traditions of the Prussian soldier.“ (Kurt Meyer: Grenadiers, pg.3) [Übersetzung auf Anfrage] Kein Wort einer späten Einsicht, kein Wort der Reue, kein Wort der Entschuldigung: „We (ehemalige Waffen-SS) must stand united to fight for the emancipation and freedom of our comrades convicted of war crimes and put an end to the slander. Those in prison cannot defend themselves.“ (Kurt Meyer: Grenadiers, pg. 405)

Während es mit Meyers Karrieren als Autor und als Vertriebsleiter richtig gut lief, ging es mit der HIAG nicht so recht weiter. Alle Bemühungen, die Soldaten und Angehörigen der Waffen-SS mit denen der regulären Wehrmacht rechtlich und finanziell gleichzustellen, zeigten keine zählbaren Erfolge. Die Entführung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmanns aus Argentinien im Jahre 1960 und sein Prozess in Jerusalem ein Jahr später, der für ein paar Monate auf der ganzen Welt die Schlagzeilen machte, brachte das wahre Ausmaß und Wesen der Shoah, der Verbrechen der Deutschen an den Europäischen Juden, zurück ins welt-öffentliche und auch bundesdeutsche Bewusstsein, und löste eine Welle von längst überfälligen Anklagen wegen Kriegsverbrechen vor deutschen Gerichten  aus. Das politische Klima war recht ungünstig für die HIAG, die sich vergeblich anstrengte, einen klaren Trennungsstrich zwischen sich, den Angehörigen der Waffen-SS und denen der Allgemeinen SS, die für die Organisation  der Lager verantwortlich gewesen war, zu ziehen.

HIAG Versammlung, Aschaffenburg 1957

Die HIAG, und im besonderen Meyer hatte schon Ende der fünfziger Jahre  einen ungewohnt versöhnlichen Kurs eingeschlagen, es schien, dass sie sich  endlich mit der bundesdeutschen Wirklichkeit abgefunden hatten. Im Nachwort Meyers Biographie steht dann auch: „The soldiers of the former Waffen-SS do not desire a return to the past. The wheels of history cannot and must not be reversed. They support the government and are represented in all the Federal Republic’s political parties. There is no uniform political opinion among the former soldiers of the Waffen-SS. They reject all radical, short-lived and erratic groups. They stand for democracy. This is exactly why they are fighting for their rights.“(Kurt Meyer: Grenadiers, pg.404) Diese Linie vertrat Kurt Meyer auch den bei vielen öffentlichen Versammlungen, die er in seiner Funktion als Bundessprecher besuchen musste, eine Linie, die eher von taktischem Opportunismus als von politischer Einsicht bestimmt zu sein schien. Ob alle Mitglieder der HIAG mit dieser Linie übereinstimmten, und wirklich nicht die guten alten Zeiten wieder herbeisehnten, muss stark bezweifelt werden. Der Kurs der HIAG wandte sich auch bald wieder nach Rechtsaußen, soweit, dass in den letzten Jahren ihres Bestehens vor der Selbstauflösung in 1992 die Organisation vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und als solche beobachtet wurde. Auch dass Meyer selbst wirklich auf seine alten Tage noch zum Demokraten wurde, erscheint doch eher unglaubhaft, zu stark sind die Indizien, dass er bis zu seinem Lebensende der selbe glühende Verehrer Adolf Hitlers und dessen Ideologie  blieb, der er schon im Alter von fünfzehn Jahren gewesen war.

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Kurt Meyers Beerdigung

Das Lebensende kam für Kurt „Panzer“ Meyer an seinem 51. Geburtstag, dem 23.12.1961. in einem Hagener Krankenhaus. Im Verlauf des Jahres hatte sich Meyers Gesundheitszustand stetig verschlechtert, er hatte mehrere leichte Schlaganfälle erlitten, und einen Tag vor Heiligabend war es dann vorbei. Fast. Fünf Tage später, am 28.12.1961, wurde Kurt Meyer auf dem Friehof in Hagen-Delstern beerdigt. Bis heute soll es die größte Beerdigung gewesen sein, die die Stadt Hagen jemals gesehen hat. Die Schätzungen der Teilnehmerzahen variieren beträchtlich, wie es bei allen politischen Demonstrationen, und nichts anderes war es, immer der Fall ist. Zwischen fünf und fünfzehn Tausend alter Kameraden hatten sich hier versammelt, um den guten alten Zeiten und einem ihrer Protagonisten mit allem militärischem Pomp (Siehe Bild) zu huldigen. Aber auch Abgesandte aller politischen Parteien und höhere Offiziere der Bundeswehr reihten sich in den Trauermarsch ein. Die Führungsspitze der Waffen-SS im Ruhestand und HIAG waren natürlich auch anwesend: Dietrich, Peiper, Wünsche etc. und Hubert Meyer (nicht verwandt) , ehemaliger SS-Obersturmbannführer und nach Kurt Meyers Gefangennahme kurzzeitig Kommandeur der 12. Panzerdivision HJ. Hubert Meyer hielt dann auch die Eulogie: „Dein ganzer Einsatz galt dem Glück und der Freiheit unseres Vaterlandes, für das dein Herz bis zum letzten Augenblick schlug. Dieses Vaterland wollen wir immer lieben, so wie du, erst recht in der Not und im Unglück. Wie es in deinem Sinne lag, wollen wir mithelfen, eine große Gemeinschaft freier Völker zu schaffen, in der Geist und Wesen des deutschen Volkes sich in edlem, friedlichem Wettstreit weiter entfalten können.“(Ausschnitt) Dass Kurt „Panzer“ Meyer, oder irgendein anderer Angehöriger der Waffen-SS jemals ein Vorkämpfer für Völkerverständigung gewesen sein könnte, kann man eigentlich nur als Verhöhnung ihrer Opfer (Siehe oben) interpretieren. Was der Geist und das Wesen des deutschen Volkes auch sein kann, hatte sich in Auschwitz unmissverständlich gezeigt. Kurt Meyers Grab auf dem Delsterner Friedhof ist bis heute ein Wallfahrtsort für die, die ihn sechzig Jahre nach seinem Tod immer noch oder schon wieder bewundern, sei es aus fehlgeleiten militär-historischen oder  ideologischen Gründen.

Ob es am Verlust ihres besten Mitarbeiters lag,  oder an den teuren und extravaganten Jagdexpeditionen des Chefs, oder an beiden Faktoren, Mitte der sechziger Jahre ging es der Andreas Brauerei nicht gut, und Carl-Horst sah sich gezwungen, einen Teil der Firmenanteile zu verkaufen. Zum Glück war ein Mann zur Stelle, mit dem Carl-Andreas nicht nur ein Interesse am Brauereiwesen gemeinsam hatte.

Anhang:

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Offener Brief des HIAG Bundesvorstandes, unterzeichnet von Kurt Meyer

Quelle: Deutsches Historisches Museum, Berlin

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