Andreas Pils · Antisemitismus · Hagen Westfalen · Nazi Kriegsverbrechen · Niederlande/Belgien

HAGEN XIV : Siert Bruins

Die  „Hansestadt“ Breckerfeld ist ein kleines Städtchen am nördlichen Rand des Sauerlandes, ungefähr 15km entfernt von Hagen.  Bis zum Jahre 1963 war Breckerfeld mit Hagen durch die Straßenbahnlinie 11 verbunden, die von Haspe-Mitte aus, auf einer malerischen Strecke an der Andreas-Brauerei vorbei, über Voerde die Hügel hinauf bis in die alte Hansestadt führte

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Linie 11 Haspe-Breckerfeld

Breckerfeld war der Ort, an dem sich der ehemalige Oberbürgermeister vn Hagen und stellvertretende Gauleiter von Süd- Westfalen, Heinrich Vetter nach der deutschen Niederlage  vor den alliierten Truppen und einer gerechten Strafe versteckt hatte und wo der ehemalige Vorsitzende der neo-nazistischen „Bewegung Reich“, Emil Kritzler, auch berühmt als einer der „would be hitlers“ in in Pennsylvania, eine Stütze der Dorfgemeinschaft gewesen war. Auch das heutige Hagen-Dahl, dessen Imkerverein von dem bekannten  Alt- Nazi Siegfried Lademacher geleitet wurde (oder viellecht noch wird), gehörte einst zu Breckerfeld.

Schon seit den sechziger Jahren florierte in der ländlichen Gemeinde Breckerfeld der Gartenbaubetrieb „Siegfried Bruns“, der sich auf die Her- und Aufstellung von Gartenzäunen spezialisiert hatte. Dass der niederländische Kriegsverbrecher Herbertus Bikker, der im benachbarten Hagen-Haspe in seinem Schrebergarten preisgekrönte Tulpen züchtete, zu Siegfried Bruns‘ Kundenkreis gehörte, ist nicht bekannt. Hätte er aber seine Jägerzäune aus Breckerfeld bezogen, so hätte er bestimmt einen Rabatt bekommen. Denn den Tulpenzüchter und den Zäunehersteller verband mehr als nur die Liebe zur Ordnung im Schrebergarten. Beide waren Holländer, beide waren Mitglied des NSB (Nationaal Socialistische Beweging)  und Freiwillige in der Waffen-SS gewesen, beide hatten für das Deutsche Reich an der Ostfront gekämpft, beide waren schwer verwundet und krank zurück nach Holland geschickt und dort zu Polizisten umgeschult worden, beide waren verurteilte Kriegsverbrecher, beide hatten sich den Spitznamen „beul“ , „Henker“, redlich verdient und beide waren in die BRD geflüchtet, wo sie als deutsche Staatsbürger jahrelang  sicher vor den niederländischen Justizbehörden waren.

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Siert Bruins

Der Breckerfelder Zäuneproduzenten, der den deutschesten aller Vornamen trug,  war in Wirklichkeit auf den gut holländischen Namen SIERT BRUINS (1921-2015) getauft und stammte aus dem Dorf Weite, in der niederländischen Provinz Groningen nahe der deutschen Grenze. Wie schon oben erwähnt, war Bruins‘ Karriere im Zweiten Weltkrieg eine fast genaue Kopie derer Bikkers, vom NSB zur SS-Freiwilligen Legion „Niederlande“ nach Russland und zurück. Nach erfolgter Umschulung wurde Bruins als SS-Unterscharführer zum Sicherheitsdienst (SD), einer Abteilung der Allgemeinen SS, der deutschen Besatzungsmacht nach Delfzijl  abkommandiert. Delfzijl ist ein kleines Hafenstädtchen im Norden Hollands mit im Jahre 1944 ungefähr 20.000 Einwohnern, dessen 126 jüdische Bürger sch on im Jahre 1942 via das Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz verschleppt worden waren. In Delfzijl waren die deutsche Polizei und ihre holländischen Kollaborateure, unter ihnen Siert Bruins, hauptsächlich damit beschäftigt untergetauchte Juden, die sich auf den umliegenden Bauerhöfen versteckt hielten, sowie niederländische Widerstandskämpfer, die diesen Juden Zuflucht und Verpflegung gewährt hatten, aufzuspüren und zu exekutieren. Im Jahre 1944 nahmen Bruins und sein Exekutionskommando den Widerstandskämfer Aldert Klaas Dijkema nach einer Razzia fest und brachten ihn in einem Auto in sein Heimatdorf Appingedam, einem kleinen Dorf in der Provinz Groningen. Dort angekommen, befahlen die Sicherheitskräfte Dijkema aus dem Wagen zu steigen und in ein nahgelegenes Fabrikgelände zu gehen. Bruins und ein deutscher Kollege folgten ihm und wenige Minuten später war Aldert Klaas Dijkema tot, mit einem Genickschuss erschossen. Durch diesen feigen Mord verdiente sich Siert Bruins zu recht den Spitznamen „Beul van Appingedam“, der Henker von Appingedam. Wenige Monate später,im April 1945, als das nahe Groningen schon von alliierten Truppen befreit war, griff das SS-Kommando aus Delfzijl, mit Bruins‘ Beteiligung zwei flüchtige jüdische Brüder, Lazarus und Meijer Sleutelberg auf, zwang sie ihre eigenen Gräber zu schaufeln und exekutierte sie. Nur Stunden nach dem Mord setzten sich die deutschen und holländischen Angehörigen der SD Dienststelle Delfzijl, unter ihnen Siert Bruins, mit einem Boot über die deutsche Grenze nach Emden ab.

Für die nächsten 33 Jahre hört Siert Bruins auf, zu existieren. Er tauchte in der deutschen Provinz unter und nahm einen anderen Namen an. Wie auch Herbertus Bikker und Remi Schrijnen hatte Siert Bruins mit seiner freiwilligen Zugehörigkeit zur Waffen-SS auch das Recht auf deutsche Staatsbürgerschaft erworben, und so fiel es ihm in den Nachkriegswirren leicht,  sich einen bundesdeutschen Ausweis auf den Namen „Siegfried Bruns“ zu besorgen. Im Jahre 1949 wurde Siert Bruins in absentia von einem niederländischen Gericht wegen seiner diversen Verbrechen zum Tode verurteilt, aber weder die niederländische, noch und erst recht nicht die deutsche Justiz scheinen danach ernsthaftere Anstrengungen gemacht zu haben, seinen Aufenthaltsort zu erkunden und ihn hinter Gitter zu bringen. So lebte Siert Bruins für mehr als drei Jahrzehnte eine ruhiges und unbescholtenes Leben in der beschaulichen kleinen Stadt Breckerfeld, wo er bald zu einem respektierten Mitglied verschiedenster kleinstädtischer Vereine avancierte, vermutlich nicht zuletzt wegen seines komischen Rudi Carell Akzentes.

Zwei Faktoren wurden ihm jedoch zum Verhängnis: Zunächst legte Siert Bruns‘ Sohn, den der Vater in einem Anflug von Bescheidenheit nach ihm selbst benannt hatte, als er 1971 im Standesamt Breckerfeld sein Heiratsaufgebot bestellen wollte,  einen im Jahre 1944 in den Niederlanden ausgestellten Pass mit dem Namen „Siert Bruns“ vor. Kenntnis davon drang bis nach Holland und von dort nach Wien zu Simon Wiesenthal, dem Leiter des gleichnamigen Institutes, das sich der Auffindung von auf freiem Fuß lebenden NS-Kriegsverbrechern gewidmet hatte.

Das zweite Gerücht erzählte vom möglichen Wohnort von Siert Bruins jüngerem Bruder, Derk Elsko. Der junge Bruins war wie sein älterer Bruder Freiwilliger in der SS- Panzergrenadier-Division „Niederlande“, hatte sich wie der Neu-Hagener Remy Schrijnen bei der „Schlacht bei Narva“ an der Leningrad Front im heutigen Estland durch das Zerstören von zwölf sowjetischen Panzern das „Ritterkreuz“ erworben, hatte aber, anders als Bikker und sein Bruder, bis zur deutschen Niederlage bei einer kämpfenden SS-Einheit gedient, und war so auch nie direkt der Ausübung von Kriegsverbrechen beschuldigt worden. Als ehemaliger freiwilliger Soldat in einer feindlichen Armee wurde D.E. Bruins kurz nach Kriegsende von den Niederländern interniert, es gelang ihm jedoch zu fliehen und sich, wie sein Bruder, nach Deutschland abzusetzen. Hier lebte er unter eigenem Namen und mit deutscher Frau völlig offen in der kleinen Stadt Radevormwald, rund 20km entfernt von Hagen und 8km von Breckerfeld, wo sein Bruder Siert unter falschem Namen lebte.

Simon Wiesenthal ging den Gerüchten über Derk Elsko nach und fand ihn auch prompt und ohne größere Schwierigkeiten. Weitere Informationen schlugen vor, dass Derk Elskos Bruder angeblich nicht mehr als dreißig Autominuten von Radevormwald entfernt lebe, und als der Nazijäger und eine Gruppe niederländischer Helfer dieser Spur nachging , war Siert Bruins im Jahre 1978 endlich gefunden. Als sein Dossier, inklusive Aufenthaltsort, der Hagener Staatsanwaltschaft übergeben wurde, zeigte sich diese völlig desinteressiert. Eine Gruppe ehemaliger niederländischer Widerstandskämpfer plante daraufhin eine Entführung Bruins‘ zurück nach Holland, aber die tapferen „Verzetstrijders“ waren nicht der Mossad ( der israelische Geheimdienst, der 1960 in einer hervorragend geplanten und durchgeführten Aktion Adolf Eichmann aus Argentinien und nach Israel entführt hatte) und der geplante Versuch Bruins zu kidnappen,scheiterte. Erst nachdem der international renommierte Simon Wiesenthal sich zum wiederholten Male für eine Festnahme und Anklage des Kriegsverbrechers eingesetzt hatte, bequemten sich die bundesdeutschen Justizbehörden dazu, der Sache nachzugehen. Der ehemalige Angehörige der Waffen-SS und des SD wurde verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Da die verlangte Auslieferung Bruins an die Niederlande aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht möglich war (siehe Herbertus Bikker und Remy Schrijnen) wurde in Hagen vor dem dortigen Landgericht im Februar 1979 der Prozess gegen ihn eröffnet. Verhandelt wurde allein Bruins‘ Beteiligung am Mord an den jüdischen Brüdern Sleutelberg (siehe oben), und tatsächlich wurde er auch wegen Mittäterschaft zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die guten Bürger Breckerfelds hatten bis zu letzt vergeblich für die Freilassung ihres angesehen Nachbarn und Zäunelieferanten Unterschriften gesammelt, konten sich auf der anderen Seite aber schon nach fünf Jahren freuen, ihn wieder in ihre Mitte und in ihren Kegelklub aufnehmen zu dürfen.

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Siert Bruins 1979

Für weitere 17 Jahre lebte Siert Bruins witer im ebenso idyllischen wie biederen Städtchen in der deutschen Provinz, bis ihn im Jahre 2012 seine noch ungesühnte Vergangenheit wieder einholte.  Auf Betreiben eines niederländischen Journalisten nahm ein Dortmunder Staatsanwalt ein Verfahren gegen Bruins wegen des Mordes am Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema auf, der 20 Jahre vorher nicht zur Verhandlung gekommen war. Der zweite Prozess begann im September 2013 vor dem zuständigen LG Hagen. Wie auch schom im Prozess gegen Herbertus Bikker (siehe oben) wurde jedoch nicht so sehr Bruins‘ Schuld, sondern eher seine physische und psychische Verhandlungsfähigkeit diskutiert. Am Ende, nach nur drei Monaten Prozess‘, entschied das Gericht, dass nicht genug Beweise für einen vorsätzlichen Mord an Dijkema vorlagen, und dass jegliche geringere Straftat, Totschlag zum Beispiel, inzwischen verjährt war. Siert Bruins wurde also wieder auf freien Fuss gesetzt, woran auch eine Berufung durch die niederländischen Behörden nichts ändern konnte.

Am 28. September 2015 verstarb der niederländische Kriegsverbrecher in deutschen Diensten, Siert Bruins, der „Henker von Appingedam“,  im Alter von 94 Jahren. Er wurde im engsten Kreise begraben, schon deshalb weil er der letzte überlebende  derjenigen Kriegsverbrecher gewesen war, die nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und des  zweiten Weltkrieges in Hagen und Umgebung Unterschlupf, Beschäftigung und Zuflucht vor einer gerechten Bestrafung gefunden hatten.

Anhang

Verfahren Lfd.Nr.859
Tatkomplex: Andere Massenvernichtungsverbrechen
Angeklagte:
Bru., Siert 7 Jahre
Neu., August 8 Jahre
Gerichtsentscheidungen:
LG Hagen 800222
Tatland: Niederlande
Tatort: Delfzijl
Tatzeit: 450425
Opfer: Juden
Nationalität: Niederländische
Dienststelle: Polizei Grenzpolizei Delfzijl
Verfahrensgegenstand: Erschiessung zweier auf einem Bauernhof untergetauchter Juden, die kurz vorher von einer Wehrmachtsstreife entdeckt und verhaftet worden waren

Veröffentlicht in Justiz und NS-Verbrechen Band XLIII

 

 

 

 

 

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