Antisemitismus · Der Professor · Hagen Westfalen

DER PROFESSOR I – Exkurs: Martin Luther

Diese deutsche Geschichte beginnt  Mitte der sechziger Jahre auf einem Hagener Gymnasium. Dort unterrichtete damals ein Lehrer, der den stolzen Titel “Herr Professor” trug und auch so aussah. Obwohl das Gymnasium, mit kleiner Schülerzahl und Alt-Griechisch im Curriculum, sich als exklusiv und den andren Hagener Gymnasien  überlegen verstand, war es doch auch für eine elitäre Schule in der BRD und in den 60ern recht ungewöhnlich, dass ein „Professor“ dort 12 Jährigen die Grundzüge der englischen Sprache beibrachte. Professoren, im Normalfalle mit Standesdünkel ausgestattet und eifersüchtig ihre Privilegien schützend, ließen sich damals ausschließlich an Universitäten finden, wo man übrigens gerade entdeckt hatte, dass sich unter den Talaren der Muff von tausend Jahren versteckte. Dass sich also ein so gelehrter Mann, der die “venia legendi”, die Befugnis an einer Universität zu lehren, besaß, sich in die Niederungen des sekundären Schulwesens begab, hätte eigentlich die Neugier seiner Kollegen, seiner Schüler und deren Eltern wecken sollen. 

Hätte es jemand damals wirklich wissen wollen und deshalb nachgefragt, so hätte er/sie herausgefinden können, dass es  höchst wahrscheinlich gute Gründe für des Professors berufliche Neuorientierung gab, und die sollen hier erzählt werden. Worüber weiterhin berichtet wird, sind die kleinen Ausflüge in die Historie des deutschen Antisemitismus, die den Hintergrund ausfüllen sollen, vor dem sich die eigentliche Geschichte abspielt.

Doch  fängt sie aber nicht wirklich in Hagen an, wo sie enden wird, sondern in Erfurt, einer beschaulichen Stadt in Thüringen, in der Mitte des Deutschen Reiches, wo im Jahre 1905 im Pfarrhaus der evangelischen Thomasgemeinde ein kleiner Junge geboren wurde. Es war erst das zweite Deutsche Reich, das gerade mal dreißig Jahre alt war und auch nicht viel älter werden sollte, aber das dritte sollte ja bald beginnen und dieses würde  dann tausend  Jahre dauern.

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Thomaskirche in Erfurt

Erfurt lag in einem Teil Thüringens, der im Jahre 1905 zu Preußen gehörte, dessen König als Wilhelm II. auch Kaiser des besagten Deutschen Reiches war. Der Rest des heutigen Bundeslandes Thüringen der BRD, erst 1990 geschaffen aus dem Nichts der untergegangen Arbeiter- und Bauernrepublik, war damals, am Anfang des 20.Jahrhunderts,  aufgespalten in eine schier unendliche Anzahl von winzigen Duodez-Fürstentümern, die ihre Prinzessinnen an den Europäischen Hochadel verkuppelten und ansonsten ihre eigenen Briefmarken herausgaben, und deren Namen  zu Recht in Vergessenheit geraten sind.

EXKURS I : MARTIN LUTHER – Der gewöhnliche Anti-Judaismus

Nicht weit entfernt von Erfurt lag das noch beschaulichere Städtchen Eisenach, in dem zu Beginn des 16.Jahrhunderts der abtrünnige Mönch Martin Luther, der im Jahre 1517 gegen die weltlichen Sinnlichkeiten der römischen Päpste rebelliert hatte, Asyl vor den Nachstellungen der kaiserlichen Autoritäten, – der des ersten Reiches -, gesucht hatte. Im Jahre 1521 gehörte die Wartburg, auf der Luther Unterschlupf gefunden hatte, zu den Domänen Friedrich des Weisen,  des Kurfürsten von Sachsen, der sich zu Luthers Beschützer , wohl eher aus politischen als aus religiösen Gründen, aufgeschwungen hatte.  Sich verbergend auf der abgelegenen Burg, vertrieb sich Luther die Zeit damit, das Neue Testament aus dem Griechischen und Lateinischen in “Hoch”deutsche, einem in ganz Mitteldeutschland grassierenden Dialekt, zu übersetzen, um so seiner stets  wachsenden Herde die Worte des Herrn in einer Sprache zu vermitteln, die sie verstehen könnten. (Eine großer Fehler übrigens, wie sich nur wenige Jahre später herausstellen sollte, siehe unten!)

Nur wenige Jahre vor Luthers Revolte hatte  Johannes Gutenberg eine Apparatur entwickelt, die es ermöglichte, Text, der bislang in mühsamer Heimarbeit mit der Hand aufs Pergament geschrieben werden musste, nun mit beweglichen Typen viel schneller und viel billiger und in viel höheren Auflagen maschinell aufs Papier zu drucken. Luther war ein fleißiger und kluger Mönch und gewitzt genug, die unendlichen Möglichkeiten des neuen Mediums zu erkennen und zu realisieren.  Luthers Schaffensrausch produzierte so eine wahre Flut von Schriften, die von Gutenbergs und der seiner Nachahmer Pressen floss: Bücher, Pamphlete und im besonderen Flugblätter, die in wahrer Windeseile seine Häresie über die Länder der Deutschen verbreiteten. Luther beschränkte sich keineswegs darauf, denen die schon lesen konnten und denen, denen noch vorgelesen wurde, die Fundamente seiner im Entstehen  begriffenden Theologie zu vermitteln, sondern fand auch Zeit, denen, die sich den totalitären Ansprüchen der neuen Lehre verweigerten, mit Wut und Wortgewalt die sprichwörtlichen Leviten zu lesen. Nicht nur die Papisten bekamen seinen Zorn zu spüren, auch die, die schon immer dem Aberglauben Opfer waren,  wie Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, oder die, in der Mehrzahl Frauen, die als Hexen denunziert waren, beschrieb er, noch ganz im alten Zeitgeist des Aberglaubens schwelgend, in die ewige Verdammnis. Und als die Bauernschaft begann, das neue Testament zu verstehen, da es ihnen nun in ihrer eigenen Sprache vermittelt wurde, und so den Egalitarismus der ur-christlichen Botschaft Ernst zu nehmen, und den Himmel, der ihnen versprochen war, schon jetzt und hier auf Erden zu fordern, und mit Bibel und Waffen in der Hand gegen ihre Herren Unterdrücker rebellierten, verwies Luther sie zurück in die feudalen Schranken, und beschwor so das letztendliche Gemetzel, das dem Aufstand ein Ende setzte.

z2Doch von all den Gruppen, die sich am Rande der sich rapide verändernden mittelalterlichen Gesellschaft wiederfanden, schenkte der große deutsche Reformator, den Juden seine besondere Aufmerksamkeit. Rund zwanzig Schriften widmete der protestantische Polemiker der judäischen Minderheit, die an die Mauern der Städte in Ghettos marginalisiert  und vom gesellschaftlichen und ökonomischen Leben ausgesondert war. Darunter solch Machwerke wie Ein Sermon an dem Jahrestag von der Beschneidung der Juden” (1523, WA12), oder Von den Juden und ihren Lügen” (1543, WA53), und Eine Vermahnung der die Juden” (1546, WA51) und natürlich den guten Ratgeber “Brief zur liturgischen Gestaltung von Judentaufen” (1530. WA Briefe 5).  Das letztere, die Judentaufe, war des Reformers  größtes Ärgernis, denn  fanden doch recht wenige statt, die widerspenstigen weigerten sich auch weiterhin den Glauben ihrer Peiniger anzunehmen. So gesellte sich zum traditionellen Antijudaismus der Zorn, dass die undankbaren auch nicht ihn, den Mönch aus Eisleben, als ihren Messiah anerkannten, der sie vom irdischen Leid erlösen könne. (Zu Recht, wie das Schicksal schon vollzogener und zukünftiger Konvertiten zeigt.)  Angesichts der jüdischen Insolenz in Ratlosigkeit, aber nicht Sprachlosigkeit, verfallen, gibt Luther in dem an obiger Stelle erwähnten Pamphlet Von den Juden und ihren Lügen” (1543, WA53),  dann Verhaltensmaßregeln an seine Herde:  „Was sollen wir Christen nun tun mit diesem verdammten, verworfenen Volk der Juden?“  Man könne ja, so schlägt Luther vor:

 ihre Synagogen niederbrennen, …ihre Häuser zerstören und sie wie Zigeuner  in Ställen und Scheunen wohnen lassen, …ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegnehmen, die ohnehin nur  Abgötterei lehrten, …ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe verbieten, …ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht entziehen, …ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) verbieten, …all ihr Bargeld und ihren Schmuck einziehen und verwahren, …den jungen kräftigen Juden und Jüdinnen  Werkzeuge für körperliche Arbeit geben und sie ihr Brot verdienen lassen. (Im Volltext:   Luther: Von den Juden und…)

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Schrift des evang. Landesbischofs von Thueringen, Martin Sasse, 1938

Dass Luthers Ergüsse auch schon im Detail das Regime der Lager beschrieb, bezeugt nicht, dass er neben seinen unbestrittenen Gaben auch die der Prophetie besaß, sondern nur das gleiche Maß des anantisemitischem Wahns, der später die Lager baute und betrieb. Nur dass ihm die Möglichkeiten zur Umsetzung seiner Fantasien fehlten, ungleich den Epigonen. So ist es auch kein Wunder, dass Luthers antijudäische Pamphlete zu Dauerbrennern wurden, die auch  dann, als sich diese Form des Judenhasses in den des Antisemitismus verwandelte, noch stets gelesen und oft zitiert wurden,  und schließlich, als sich der deutsche Protestantismus mit dem noch deutscheren Nationalsozialismus zu einer unheiligen Allianz von Religion und Rasse verband, als ideologische Rechtfertigung für solch Unterfangen dienen konnte.

Ende-Exkurs I

 

Doch wir sind der Zeit vorausgeeilt, im Jahre 1905, in Erfurt, im Pfarrhaus, dachte man noch nicht an Hitler oder Sasse. Hier hing wohl noch ein Portrait des Kaisers an der Wand und ein gerahmtes Lutherbild stand auf der Anrichte. Denn auch im Königreich Preußen waren Staat und Kirche eng verflochten. Der stolze Vater war der Pfarrer der Thomasgemeinde, und Spross einer in Preußen lang etablierten Familie des Bildungsbürgertums, die Geheime Sanitätsräte, Kirchenliederkomponisten und Hofprediger zu den ihren zählen konnte. Die Mutter war die Tochter eines evangelischen Theologen und Oberkirchenrats,  eines Vertrauten Kaiser Wilhelms II und Mitglied des preußischen Herrenhauses.

Angesichts  solch exzellenter Verbindungen war es deshalb kaum verwunderlich, dass 1908, nur wenige Jahre nach der Geburt unseres Jungen, über dessen erste Kindheitsjahre wir übrigens nichts weiteres wissen, die Karriere des Vaters einen steilen Sprung nach oben vollzog und ihn und seine Familie aus der bescheidenen Pfarrei hinaus in die Universitätsstadt Greifswald, einer der ältesten Deutschlands, führen sollte, wohin der Vater als außerordentlicher Professor für praktische und protestantische Theologie berufen worden war. Vielleicht aber tun wir auch dem frischgebackenen Universitätsdozenten Unrecht und es waren rein wissenschaftliche Verdienste, und nicht sein Schwiegervater, die ihm den Aufstieg ermöglichten. Die theologische Fakultät der “Königlichen Universität zu Greifswald” genoss einen ausgezeichneten Ruf, und der neue Professor trug anscheinend nicht unerheblich mit epistemologischen Traktaten, wie “Das Verhältnis von Theologie und Erkenntnistheorie” (1908) und der, seinem Lehrauftrag in praktischer Theologie eher angemesseneren, Schrift Der Konfirmandenunterricht nach Stoffwahl, Charakter und Aufbau” (1912) zu diesem Ruhme bei. Und nicht nur zu dem seiner Universität, denn nach nur vier Jahren als außerordentlicher Professor in der preußischen Provinz, wurde er schon 1912 ein ordentlicher, also ein mit allen Privilegien und Würden ausgestattetes  Mitglied der preußischen Bildungsbürokratie. Aber nicht in Greifswald, sondern in einer der vielen anderen preußischen Provinzstädte.

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