Antisemitismus · Der Professor · Hagen Westfalen

DER PROFESSOR III – Exkurs: Alfred Baeumler

Diese deutsche Geschichte spielt in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts und der Handlungsort pendelt zunächst zwischen den zwei preußischen Universitätsstädten Breslau und Greifswald, die erste nahe der polnischen Grenze in der Provinz Niederschlesien, die letztere gelegen an der Ostseeküste, gegenüber der Insel Rügen in der Provinz Pommern, um letztendlich in Berlin fortgesetzt zu werden.  An den zwei Universitäten in Greifswald und Breslau  wird unser Junge, inzwischen auch in seinen Zwanzigern und ein junger Mann, bis zum Ende des Jahrzehntes sein Studium abschließen.. Ob er es bewusst vermied, seine Studentenjahre in Berlin zu verbringen, wissen wir nicht, Gründe sich aus der Hauptstadt fernzuhalten, gab es genug.  Vielleicht erachtete er, oder seine Familie, Berlin als zu gefährlich, wie es im November 1919 die frisch gewählte deutsche Nationalversammlung getan hatte, als sie aus dem unruhigen Berlin in das verschlafene Provinzstädtchen Weimar inmitten der Republik geflüchtet war, um sich dort im Theater zu konstituieren und sich so den Namen zu geben, der schon andeutet, dass die fünfzehn Jahre, die zwischen dem zweiten und dem dritten Deutschen Reich lagen, nur ein provisorisches Interregnum sein würden. In der Vorstellung einer bibelfesten evangelischen Pastorenfamilie aus der Provinz muss das Berlin der Mitt-20er wohl eine Mischung aus den alttestamentarischen Zwillingsstädten Sodom und Gomorrah und dem revolutionären St. Petersburg des Novembers 1917 gewesen sein, eine Stadt in der es von Huren und Bolschewisten nur so wimmelte.

Dix-Tript
„Grossstadt“, Otto Dix, 1928

Ganz Unrecht hatten die Provinzler natürlich nicht, denn Berlin in den 20ern war in der Tat ein Pfuhl, in dem sich alle nur erdenkbare Sünden ausleben ließen: die des unverhohlenen Kapitalismus, der es genoss sich und seine Opfer zur Schau zu stellen; die der radikalen intellektuellen  Kritik an alten und neuen Wahrheiten;  die des künstlerischen Experiments, das alle visuellen, musikalischen und literarischen Konventionen belachte und in Frage stellte; die der sexuellen Toleranz, die andere Möglichkeiten zur Realisierung des ganz privaten Libidos zuließ. Um dieses Berlin, das mit seinem Gegenstück Paris die zwei kulturellen Pole des neuen Europas bildete, um diese Großstadt herum lag die deutsche Provinz, gleichsam Berlin umzingelnd und belagernd und darauf lauernd die unbotsame Stadt wieder in die kleinbürgerliche Normalität zu zwingen, die trotz permanenter Wirtschaftskrise und politischer Ohnmacht in die deutschen Länder zurückgekehrt war.

Breslau und Greifswald waren nicht Berlin, hier ließ es sich noch in aller Ruhe und ohne Ablenkung lernen, und genau das tat unser Held. An den genanten zwei Universitäten, an denen sein Vater gelehrt hatte, beziehungsweise immer noch lehrte, studierte er in nur wenigen Jahren Philosophie, Pädagogik, deutsche und englische Philologie, vier akademische Fächer, ein recht ambioniertes Pensum, das schon in der Auswahl erkennen läßt, dass der junge Mann auf eine Karriere als Erzieher hinsteuerte.

1929 promoviert der zukünftige Professor an der Breslauer Universität mit einer Dissertation, die bequemerweise die vier Hauptausrichtungen seines Studiums in einem Thema vereinigt: „Das Problem der Bildung in der Philosophie der englischen Aufklärung“. Seine zwei Doktorväter waren die  Professoren Richard Höningswald (1875 – 1947) und Eugen Kühnemann (1868 – 1946).

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Richard Hoeningswald

Der erstere stammte aus einer liberalen jüdischen Arztfamilie aus der damaligen Habsburger Doppelmonarchie, studierte vor dem ersten Weltkrieg an der  Universität in Wien Medizin, und anschließend Philiosophie in Graz und Halle, wo er bei dem einflussreichen Neu-Kantianer Alois Riehl seine Doktorarbeit ablieferte. 1904 konvertierte er zum Protestantismus, im ersten Weltkrieg nahm er die preußische Staatsbürgerschaft an, und wurde nach Kriegsende ordentlicher Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Breslau. 1930 wechselte er nach München, und kurz nach Hitlers Machtübernahme wurde Höningswald als geborener Jude aus dem Lehrdienst entlassen, trotz seines Übertritts zum Christen- und Preußentum. . Entscheidend für seine Demission war ein Gutachten des Rektors der Universität Freiburg und Hausphilosophen des Nationalsozialismus, Martin Heidegger, der Höningswald als Heimatlosen ohne Bindung zu Blut und Boden, und perfiden Verführer junger Menschen zum Liberalismus hin denunzierte.  (Hoeningswald Entlassung) . Nach den Progromen im November 1938 wurde Höningswald, dem in der Zwischenzeit der Doktortitel aberkannt worden war,  im KZ Dachau interniert, er konnte aber im März 1939 mit seiner Familie in die USA auswandern, wo er 1947 starb, ohne jemals  wieder einen Lehrauftrag bekommen zu haben..

EugenKühnemann
Eugen Kuehnemann

Sein zweiter Doktorvater Eugen Kühnemann war ein Universalgelehrter, der in seiner sechsjährigen Studienzeit so ziemlich überall ( Marburg, Berlin, Paris…) und so ziemlich alles (Germanistik, Philosophie, Archäologie…..) studiert hatte.  In Berlin promovierte er 1889 mit einer Arbeit über Kant und Schiller, in Marburg habilitierte er sich 1895 mit der selben Thematik. Während seiner Berliner Zeit studierte er Geschichte bei  Heinrich von Treitschke, dessen fanatischer Judenhass den nationalsozialistischen Epigonen Stichwörter und Parolen liefern würde. Ob Kühnemann von Treitschkes Antisemitismus in all seinem Wahnwitz teilte, ist eher zweifelhaft, wenn man bedenkt, dass seine akademische Laufbahn 1935 deshalb zu einem abrupten Ende kam, weil Kühnemann stur an der Überzeugung festgehalten hatte, dass auch ein jüdischer Philosoph wie Baruch Spinoza  zum Weltkulturgut beitragen könne. (In „Der Vorleser“, Bernhard Schlink, 1995, wird der Vater des Protagonisten Michael aus dem gleichem Grund aus dem Lehrdienst entlassen). Ansonsten aber scheint Kühnemann den völkischen Nationalismus seines Lehrers geteilt zu haben, schon vor 1933 tritt er dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ bei, der es sich unter der Leitung des NSDAP Chef-Vordenker Alfred Rosenberg (siehe folgendes Kapitel) zur Aufgabe machen wird, den Absturz der Kultur der Deutschen in die Barbarei ideologisch zu begleiten und theoretisch zu rechtfertigen.

Unser junger Breslauer Doktor und seine Arbeit, die ihn dazu gemacht hatte, stehen noch in der Tradition des  Neo-Kantianismus, der sich am Ende der dreißiger Jahre schon tief in seiner Spätphase befand und bald als dominierende philosophische Strömung des deutschen Konservatismus verdrängt wurde, sowohl durch die nationalsozialistische Re-interpretation Fichtes Patriotismus und Nietzsches Herrenmoral, als auch der blut- und bodenständigen Heideggerschen Seins-Mystik.

WIRD FORTGESETZT                                 TO BE CONTINUED

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